Beruflicher Lebensverlauf - kann man sich verlaufen, wenn der Weg das Ziel ist?
„Unter den Blinden ist der Einäugige König“, sagte der Fahrer und stieß die Klinge in sein Auge. (Boris Vian 1953 und meine ARD-Antwort auf den ZDF-Werbeslogan)
Findet dieses Motto nicht nur in meiner zeichnerischen Tätigkeit immer wieder Bestätigung, so kann ein in doppeltem Wortsinn „Ausgezeichneter“ Christoph Niemann als Illustrator scheinbar noch mehr sehen. - Mit ihm möchte ich mich nicht messen oder vergleichen, aber zumindest würde ich alles was er von sich, seiner Arbeit, seinen Einstellungen preis gegeben hat, auch unterschreiben. So kann ich mit ihm, als gedanklich roten Faden, meinen beruflichen Lebenslauf gut Revue passieren lassen. Mich frappierende Parallelen, einschließlich der Arbeitsweise im Kreativprozess, führen jedoch zu grundverschiedenen Endergebnissen, die wohl dem 20-jährigen Altersunterschied (bin Jg.1953) und damit anderer Sozialisierung und Ausbildung geschuldet sind, bei aber gleicher Verehrung für Doré, über Busch bis Ungerer.
Ich habe in einer Zeit (1960er-1980) die Farblithographie und das Zeichenhandwerk gelernt (Ausbildung in renommierter, grafischen Klischeeanstalt zum Farben-Lithograph und Studium zum Diplom-Grafik-Designer mit Schwerpunkt Illustration bei Professor Meyer in Bielefeld), als noch der damalige, sogenannte Fotorealismus die Malerei in der Kunst bzw. im Kunsthandel bestimmte. Es wurde jegliche Abstraktion, aber auch widersinnig das Nutzen von Fotos, als zeichnerische Notlüge der Untalentierten abgetan: „Der kann ja nicht mal richtig mit Farbe umgehen.“
Erste Selbständigkeit nach dem Studium mit Grafik-Design-Aufträgen ließ mich bald resignieren: Rückzug bzw. Nichteinstieg in die Welt der Vermarktung aus Enttäuschung über Ausnutzen/Diebstahls von Ideen und Entwürfen bei gleichzeitig schlechter Zahlungsmoral der Auftraggeber. So waren für mich archäologische, wissenschaftlich dokumentative Illustrationen für Landesmuseen und andere Institute sowie Universität und Wirtschaftsunternehmen (Kellergeister, Wasa...) zunächst das Geldverdienen, nur auf Dauer nicht das was ich wollte.
Der Detailversessenheit der 70er zu entkommen, war dann auch in den 80ern nicht leicht. Die interessierten, maßgeblichen Agenturen (Düsseldorf, Hamburg, München) legten immer noch wert auf diese Duktus-Reiterei, sowie auf ständige Verfügbarkeit und Wohnortnähe. Darüber hinaus hatte man in einer Schublade zu bleiben, in die man zeichnerisch einmal hineingeraten war oder gesteckt wurde. Andernfalls galt man als unzuverlässig und Art-Direktoren, sowie Manager und andere Vermittler lancierten gar keine Aufträge mehr.
Als meine Illustration für „Die Zeit“ 1993 im Graphis Annual der besten Illustrationen erschien, war das eigentlich für mich wie ein Ritterschlag. Reproduktionen meiner Zeichnungen für Bahlsen tauchten in Hamburger Galerien auf, welche mich der hohen Resonanz/Nachfrage wegen, um eine Verkaufsausstellung baten. Das alles kam aber zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt der Familienplanung, so dass ich dem nicht nachkommen wollte. Diese Entscheidung war damals richtig - heute wäre sie durch Internet, der Digitalisierung und damit räumlicher Unabhängigkeit gar nicht mehr notwendig. Siehe Christoph Niemann, der in Berlin wohnend für amerikanische Kunden tätig sein kann.
Einige Zeit lang liefen Kindererziehung, Hausplanung, -entwurf und -bau, alles in Eigenarbeit, mit Illustrationsaufträgen über Mund-zu-Mund-Propaganda parallel. Damalige Ausstellungen auf regionaler Ebene hatten eine Form von Retrospektive mit Rücksichtnahme auf das Umfeld. Meist Bilder aus der Soft-Reihe mit einzelnen Augenzwinker-Ausreißern.
Sehr spät (für mich) kam der Umbruch durch die Digitalisierung der Bilderwelt. Aber die Lithographen-Ausbildung kam zu Hilfe. Schnell wurde klar, dass die Bildverarbeitungsprobleme in Pixel die gleichen sind wie ehemals bei Verwendung analogen Materials: „Ich weiß genau was ich zu tun habe, halt nur digital - statt Klebestreifen Mausklick - nicht unbedingt zeitsparender, aber mit schier unendlichen Möglichkeiten.
Im Nachhinein muss ich mir wohl eingestehen, dass mein Interesse für alle Richtungen der Bildkunst (von der anfänglichen Faszination digitaler Bildmöglichkeiten und PC-Technik im Allgemeinen, bis hin zur gegenständlichen und abstrakten Acrylmalerei) der Konzentration auf meine eigentliche Illustrationsarbeit im Wege stand. Aber auch wenn so die Quantität und Kontinuität fehlt, so sorgt doch überzeugend Originelles, kombiniert mit technischer Qualität, für etwas gute Unterhaltung, die der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden sollte.
Bis auf einige inhaltlich attraktive oder handwerklich anspruchsvolle Aufgaben (evtl. Acrylmalerei) werde ich es wohl bei der digitalen Verwaltung und Vermarktung (Internet) meiner bisherigen noch zur Verfügung stehenden Arbeiten belassen, je nach freiem Zeitraum. Wobei das Vervielfältigen und Erneuern mit Hilfe der teils faszinierenden modernen Möglichkeiten, bei mir für höchste Qualität steht und keine Langeweile beim Betrachter aufkommen lässt.
Zwar lebt Christoph Niemann als Zeichner das, vor dem ich in den 90ern noch kapituliert habe. Aber auch heute ist der Aufwand als Illustrator zu existieren so hoch, dass ich neidlos sagen kann, dafür Lebensfacetten eingetauscht zu haben, die ich nicht missen möchte, die aber auch zum Teil ihren Weg in die Zeichnung gefunden haben. So sollten/müssen auch die jungen Talente heuer immer noch entscheiden, ob das Zeichnen ihre ausschließliche Passion sein soll, um davon leben zu können. Wenn Ja, schreibe ich auf jeden Fall in das Poesie-Album mit Heinz Erhart:
„Kaum, dass auf diese Welt du kamst, zur Schule gingst, die Gattin nahmst, dir Kinder, Geld und Gut erwarbst, schon liegst du unten, weil du starbst.“
nach oben
Das Bild ist die Botschaft - Ideal und Wunschergebnis des Illustratoren
Die Illustration vermittelt im Idealfall die treffende Botschaft, welche in Sekundenbruchteilen sensibilisiert und emotional auf textliche Inhalte einstimmt. So entsteht ein Mehrwert nur, wenn sie über die reine wörtliche Umsetzung hinausgeht. Das heißt - wenn sie eigenständig, ohne Text, Komplexität (mehr oder weniger enge Zusammenhänge) erfahrbar macht, kann sie zur Kunst mutieren. Dieses Ideal ist im Alltag manchmal ein zu hohes Ziel. Da gibt es fließende Übergänge, die bestimmt werden von den gesetzten Limitierungen. Drei Beispiele aus eigener Erfahrung mit Erfolgserlebnis sind:
- Beim Marathonlauf bestimmt mein Körper, Talent, Wille, Wetter, Alter, Trainingsaufwand, aktuelle Befindlichkeit, Straßenbelag, Schuhpassform und nicht zuletzt die Zuschauerbegeisterung die Grenzen der Leistung
- Die Grenzen bei meinem "Hausbau in Eigenleistung" wurden bestimmt durch meine handwerklichen Fertigkeiten. Optisch sowie funktional soll das Gebäude meinen Bedürfnissen genügen und dabei in meinen Geldbeutel passen.
- Deadline/Zeitdruck, Kosten/Preis, Herstellungs-/Mal-und Zeichentechnik, Farbe/SW, Vervielfältigung/Drucktechnik, Größe usw. können beim Zeichnen zur Vorgabe/Grenze gehören.
Innerhalb dieser meist fremdbestimmten Limitierungen das Optimum zu schaffen, ist oft Herausforderung, Erfolgserlebnis und besondere Zufriedenheit in meiner Arbeit. Sie erhebt sich so für mich über die rein selbstbestimmte künstlerische Themenwahl.
Damit das Wissen um diese Grenzen erweiterte Blickwinkel auf eine Illustration eröffnen kann, gebe ich ab und an Infos zur Aufgabenstellung. Meist hatte ich beste Ergebnisse unter engen Vorgaben, sei es beispielsweise Prüfungsdruck, der Schnellverarbeitungszwang von 2-Komponenten-Farbe oder der Abräumbagger-Vordrang bei der Grabungsdokumentation.
Frei und gänzlich ohne Grenzen wird mir die Arbeit zum Larifari-Hobby. Ich bin mir wohl nicht wichtig genug, um aus mir selbst heraus etwas mitteilen zu müssen. - Haha, man kann auch eitel sein auf seine ganz besondere Bescheidenheit.
Ausdruck dieser Ambivalenz ist es vielleicht auch, sich engagiert einzubringen, wenn das Thema einen berührt oder Interesse weckt. Der "innere Antrieb" nicht nur bei Designern und Illustratoren, besteht aber oft "nur" in der Notwendigkeit, das Leben fristen zu müssen. Dessen geschuldet ist manchmal zwar die Produktivität hoch, die Qualität aber leidet.
Ich habe den Luxus (dank Annettes Haupt-Verdienst und unserer sparsamen Lebensweise) nicht fremdbestimmt auf ein Thema mit dem Bild reagieren zu müssen, sondern nur, wenn ich es zu meinem Thema machen kann und es idealerweise vielleicht die eigene Weiterentwicklung unterstützt. In der Praxis bedeutet das, mit Eigeninteresse, ohne Kaufverpflichtung des Auftraggebers zu arbeiten. Niemandem die Katze im Sack zu verkaufen. Sich über den Preis nach Fertigstellung zu einigen, schafft Vertrauen - ermöglicht durch Themenerweiterung bzw. -auslegung aber auch den eventuellen Verkauf an Dritte.
nach oben
Von Absurdistan nach Exopotamien - Kreativitätsarbeit statt Geistesblitz
Mein Fernsehkonsum beschränkt sich weniger auf Fiktives, als auf Informationssendungen aller Art. Dadurch erworbenes Halbwissen kann ich im Bedarfsfall einigermaßen ausreichend aufstocken. Denn um auch grobe Zusammenhänge vereinfacht aufzeigen zu können, muss man sie verstanden haben.
Vielschichtige Informationen sind trotzdem wichtig. Es heißt also, so viel wie möglich lesen, lernen, dabei in alle Richtungen denken und eine Art Stoffsammlung machen. Die Ideen dabei notiere ich meist schriftlich. Beim Lesen der eigenen Worte habe ich meine Bilder wieder im Kopf. So diktiere ich selbst beim Joggen ein Gedankenbild in mein Handy, um es festzuhalten.
Innovativ sein heißt, auf der Hand liegende offensichtliche Ideen als zu banal von vornherein verwerfen, weil sie langweilig nicht überraschen und nur Klischees bedienen würden. Auch zu komplexe Gedanken sind der Ignoranz zu opfern, weil schlecht nachvollziehbar oder schwer zu verwirklichen bzw. ins Bild zu setzen. Oft bringen's Kombinationen aus mehreren Ideen auf den Punkt. Erfinden kommt von Finden. Wer finden will muss suchen. Wer unterschiedliche Suchmethoden kombiniert, der sieht etwas, das einseitige Sucher nicht sehen.
Das (Be)-Nutzen eigener oder fremder Fotos und Motive - durch Reduktion, Verwandlung, künstlerisch attraktiver Umsetzung und Kombination, bis daraus ein neues eigenständiges Bild mit treffender Aussage geworden ist, ist legitim.
Die kreativsten Arbeiten mit der besten Rückmeldung sind aber nur entstanden, wenn mich das Thema wirklich angeht. Nur echte Begeisterung (z.B. HerzRad) bewirkt Authentizität - meine Lieblingsvokabel, wenn es um Bilderverdrossenheit und Bilderflut geht - oft verwendetes Modewort, aber trotzdem treffend und nicht falsch.
Kreativ(er) ist, wer nicht auf wenige Techniken oder einen zeichnerischen Duktus beschränkt ist. Doch Weitervermarkter und manche Artdirektoren disqualifizieren bzw. diffamieren das leicht als nicht authentisch, unzuverlässig, weil ihre vorbestimmt oberflächliche Erwartungshaltung nicht erfüllt wird. - Kreativ sein bleibt also immer eine Gratwanderung.
Die enorme Bilderflut durch Fotos, von jedermann willkürlich in ihrer Oberfläche bearbeitet, verändert, perfektioniert, vervielfältigt oder geklaut, langweilt ohne Ende. Mit der Digitalisierung ist jegliche Abwandlung ein leichtes geworden, damit häufig und in keiner Weise mehr authentisch. - Da gewinnt der Stellenwert der Idee, unabhängig von ihrer Umsetzung. Die Illustration hat dann etwas originell Originales und wirkt für mich auch gerade heute noch einzig authentisch.
nach oben
Reduktion und Abstraktion - Gedanken zur aktuellen Entwicklung der Illustration
Nach Freigabe von Picassos Fotoarchiv wurde deutlich, dass nicht nur die meisten seiner Klassiker, sondern überhaupt seine enorm vielzählige Bilderproduktion eigene, aber auch fremde Fotos und Bilder zur Grundlage haben. In Kunstkreisen heißt es dann: Er zitiert andere Meister und sich selbst.
So ist die Reduktion und Abstraktion auch für Illustratoren heute ein probates Mittel, um wirtschaftlich ein Foto oder eine bereits bestehende Abbildung für die Umsetzung einer Idee zu verwenden. Aber selbst dieser Schaffensprozess kann arbeitsintensiv sein und muss teils oft wiederholt werden, um ein glaubhaftes, eigenständiges Endergebnis zu erzielen. Dabei wird die kreative Leistung nicht geschmälert sondern nur verlagert. Eine Symbolartigkeit kann so schneller erreicht werden und die Zeichnung funktioniert leichter für alle Betrachter. Nur eine allgemeingültige, wenn auch oft vage Aussage (durch Reduktion) wird heute in der „Szene“ als Kunst empfunden und belohnt. Die bisweilen entstehende Klischeewirkung mag als gewollte Aussage positiv – kann aber auch langweilig erscheinen.
Die digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten erlauben es, mit so reduzierten Bildern ohne großen Aufwand weitere Effekte zu nutzen: Die animierte Illustration ist als vermeintlich neue Kunstform wörtlich "der Renner" auf den Internetseiten. Galt zu meiner Jugendzeit das zeichnerische Be-Nutzen bzw die Abstraktion von Fotos noch als unmoralische Notlüge von Untalentierten, so gibt es (in der Welt der unbegrenzten Pixel-Möglichkeiten) zur Ehrenrettung der Kreativen heute immer noch wirklich routinierte Zeichner, jetzt aber auch oft am Wacom.
nach oben